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Interview: Was bedeutet der Rechtsruck bei Jungwählern bei der Europawahl?

EU Wahl

Das Interview mit dem Freiburger Politikwissenschaftler Michael Wehner führte Redaktionsleiter Sven Meyer.

Herr Wehner, wenn junge Menschen wählen, dann kommt das in der Regel eher Parteien aus dem linken bis linksliberalen Lager zugute. Diese Rechnung scheint, wenn man die Ergebnisse der Europawahl ansieht, nicht mehr aufzugehen.

Michael Wehner: Früher gaben alle Studien das Bild her, dass junge Wähler eher links-progressiv abstimmen. Aktuell kann man nicht mehr davon ausgehen. Die AfD war bereits bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen die stärkste Partei bei jungen Wählern. Das ist letztlich ein Spiegelbild der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Der Trend wurde bei der Europawahl bestätigt. Insofern verändert sich da gerade etwas.


Die Gewinner sind neben Union und AfD, die kleinen Parteien, wie Volt, die ebenfalls auf Kosten vor allem der Grünen, hinzugewonnen haben. Wo liegen die Gründe für diese Verschiebung?

Wehner: Noch bei der letzten Bundestagswahl waren die Grünen und die FDP die Parteien der Jungwähler. Somit ist das Teil eines noch nicht festgelegten Wahlverhaltens dieser Wählergruppe. Die jungen Menschen sind nicht so festgelegt und reagieren auf Trends deutlicher als es ältere Wähler tun. Bei den Gründen spielen sicherlich die Nachwirkungen von Corona eine Rolle, das Gefühl der weitgehenden Nicht-Beachtung der Jugendlichen, hinzu kommt ein weit verbreiteter Eindruck, dass man von den etablierten Parteien nicht gehört wird und generelle Zukunftssorgen – das reicht von Jobs über bezahlbaren Wohnraum bis hin zu Ukrainekrieg und auch Migrationsängste spielen eine Rolle. Eine weitere bedeutende Rolle spielten auch die sozialen Medien, in denen die AfD junge Menschen sehr erfolgreich angesprochen hat. Wer sich von den Grünen hin zu Volt entwickelt hat, ist wiederum mit der Rolle der Grünen als Regierungspartei nicht zufrieden. Volt vereint linke Themen wie Klima mit dem Freiheitsgedanken und trifft kommunikativ eher den Ton junger Menschen.


Wie ist der Zuwachs bei der Union zu erklären? Ist die Jugend wertkonservativer als man animmt?

Wehner: Wertkonservatismus ist auch immer schon bei Jugendlichen ausgeprägt gewesen. So haben wir in den achtziger Jahren die Popper-Generation oder die Gründung der jungen Liberalen als Beispiel für traditionelle Wertorientierungen und die neoliberale Internet- und Startup-Generation in den Neunzigern wäre ebenfalls ein Beispiel. Das Bedürfnis nach Sicherheit in Krisenzeiten führt möglicherweise ebenfalls zu einer neokonservativen Hinwendung zur Union.


Die AfD hat teilweise klar fremdenfeindliche Clips geschaltet. Offenbar war sie damit erfolgreich. Drückt das aber wirklich jugendliche Befindlichkeiten aus?

Wehner: Meine Einschätzung ist eher, dass es die gesamtgesellschaftliche Verunsicherung samt ökonomischer Zukunftsängste ist, die oft dahintersteckt. Unsere Gesellschaft ist mit stark veränderten Rahmenbedingungen konfrontiert, davon profitieren unter anderem rechtspopulistische Stimmen. Auch bei Jugendlichen gibt es fremdenfeindliche Projektionen. Und natürlich gibt es auch reale Probleme in der jugendlichen Lebenswelt, etwa wenn junge Frauen respektlos in der Disko angetanzt werden. Das Thema Sicherheit spielt eine Rolle. Aber man muss genauso feststellen, dass auch 83 Prozent Jungwähler – Erstwähler – demokratische Parteien gewählt haben. Das darf in der Debatte um den Rechtsruck nicht untergehen.


Nun spricht alles über TikTok, dessen Wirkung offenbar die anderen Parteien völlig unterschätzt haben.

Wehner: Fakt ist, dass zwei Drittel der jungen Leute sich nicht mehr über klassische Medien informieren. Diese stark vereinfachten Clips mit einseitigen Positionen werden konsumiert. Man ist schnell in einer Blase und fühlt sich dann jeden Tag mehr in seiner Weltanschauung gestärkt. Die AfD hat das konsequent genutzt. Ich bin sehr sicher, dass die anderen Parteien ihre Verweigerungshaltung gegenüber sozialen Medien, speziell TikTok, aufgeben werden und versuchen, in dieser stark emotionalisierten Welt entsprechende Gegenbotschaften zu senden.


Bei den unter 24 Jahre alten Wählern hat nur noch jeder zehnte Grün gewählt. Eben hatten wir noch Fridays for Future und jetzt ist das Thema Klimawandel auf einmal nicht so wichtig oder wie ist das zu interpretieren?

Wehner: In der Tat steht das Thema gerade nicht mehr ganz oben auf der Agenda. Es wird von anderen Krisenthemen überlagert. Aber ich deute das eher als Momentaufnahme. Lassen Sie mal zwei, drei Hitzesommer ins Land ziehen, dann kann sich das schnell wieder ändern.


Denken Sie, dass der ständige Ampelzoff für junge Wähler ein triftiger Grund war, zu anderen Parteien zu wechseln oder die Regierung bewusst abzustrafen?

Wehner: Die politische Realität der ungeliebten Kompromisse und die Anpassung an weltpolitische Krisen führt mitunter zu herber Enttäuschung – auch bei den Jungwählern. Aufgrund der 3-Parteien-Koalition fühlen sich nun viele enttäuscht. Die jungen FDP-Wähler ärgern sich über die aus ihrer Sicht missglückte Wirtschaftspolitik, während sich viele junge Grünenwähler verwundert die Augen reiben, dass aus der ehemals pazifistischen Partei eine Kriegspartei geworden ist.


Wird das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen?

Wehner: Europawahlen sind Denkzettelwahlen, bei denen eher Protest ausgedrückt wird. Letztlich kann sich das relativ schnell wieder ändern, wenn es der Ampel gelänge, verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen und speziell jüngere Wähler besser anzusprechen. Andererseits führt die Migrationsfrage zu nationalstaatlichen Renaissancen, die ihre Eigendynamik entwickeln können.