Eine Großstadt wie Freiburg steht niemals still. Die Entwicklung schreitet ständig voran und das, wie Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) im Wochenbericht-Interview erklärt, auf vielen Feldern sehr erfolgreich. Im Gespräch mit Redaktionsleiter Sven Meyer blickt er unter anderem auf Meilensteine des neuen Jahres und erklärt, warum er 2026 wieder antreten wird.
Rückblickend: Was hat Sie, Herr Horn, im gerade zu Ende gegangenen Jahr 2024 am meisten bewegt?
Martin Horn: Politisch war es ein sehr intensives Jahr: Vom Krieg in der Ukraine, über die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten bis hin zur Wahl von Donald Trump und dem Ampel-Aus in Berlin. In Anbetracht all dieser internationalen Krisen erinnere ich mich gerne zurück an den Besuch bei der ältesten Freiburgerin mit 105 Jahren. Wenn so jemand erzählt, wird man ganz klein und demütig. Was diese Frau alles in über 100 Jahren erlebt hat, ist unglaublich. Wenn wir heute jammern und denken, es wird alles schlimmer und schlimmer, sollten wir uns zusammenreißen. Wir fokussieren uns zu oft auf Probleme und schaffen damit oftmals nur neue Probleme. Es wird Zeit endlich den Fokus auf Lösungen zu legen.
War es denn ein gutes Jahr für Freiburg?
Horn: Es hat sich in Freiburg richtig viel bewegt und man kann wohl sagen: in der Gesamtheit zum Positiven hin. Da ist der Spatenstich für unseren neuen Stadtteil Dietenbach zu nennen – gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Überhaupt gab es sehr viele neue Spatenstiche für Wohnungen, Unternehmen oder auch Wohnheime für Studierende oder Auszubildende. Wir hatten Kommunalwahlen, bei denen unsere Stadt Freiburg durch Rekordwahlbeteiligung unter allen Großstädten in Baden-Württemberg aufgefallen ist, was zeigt, dass die Demokratie hier quicklebendig ist. Gleichzeitig hatten wir in Freiburg die meisten Kandidierenden jemals und prozentual die wenigsten Stimmen für die AfD. Ein beeindruckend starkes Zeichen war aus meiner Sicht auch die größte Demonstration der Stadtgeschichte: als über 25.000 Freiburgerinnen und Freiburger für Vielfalt und Toleranz und gegen Rechtsextremismus auf die Straßen gegangen sind. Auch das neue Windrad an der Holzschlägermatte, das doppelt so viel Strom erzeugt, wie seine beiden Vorgänger zusammen, ist eine positive Weiterentwicklung.
Womit sind Sie unzufrieden, wo wurden Fehler gemacht, Chancen liegen gelassen?
Horn: Die Entwicklungen rund um den sogenannten Pergolaplatz für Suchtkranke waren für uns alle sehr unbefriedigend und leider eine sehr große Herausforderung – insbesondere für die Anwohnerinnen und Anwohner. Allerdings haben wir innerhalb weniger Wochen mit Nachdruck umgesteuert. Mit dem Ausweichplatz an der Stephan-Meier-Straße hat sich die Situation deutlich gebessert. Unzufrieden bin ich mit der Gesamtsituation auf dem Wohnungsmarkt in Freiburg, auch wenn wir auf diesem Gebiet wohl so viel tun wie kaum eine andere Stadt. Und generell bin ich persönlich immer unzufrieden, wenn es um soziale Herausforderungen und Ungerechtigkeiten geht und es einfach fair nicht rund läuft. Das heißt, wenn man zu lange auf Wohngeld, Einbürgerung oder eine Kinderbetreuung warten muss.
Sie sind damals angetreten, die Wohnungsmisere in Freiburg zu lindern. De facto hat sich an der Situation, wie Sie gerade gesagt haben, trotz allen Bemühens nichts geändert. Haben Sie das Thema unterschätzt?
Horn: Nein, keineswegs. Wir machen wahnsinnig viel. Wie gesagt, ich würde sogar behaupten, kaum eine andere Stadt in Deutschland macht so viel wie wir. Wir sind wirklich mutig und kraftvoll unterwegs. Seit meiner Wahl verkaufen wir keine Grundstücke mehr, sondern kaufen sie zurück. Wir haben inzwischen über eine Million Quadratmeter als Stadt zurückgekauft – dazu kommen nochmals die Dietenbachgrundstücke. Der Gemeinderat hat die Stadtbauoffensive bestätigt. In zehn Jahren werden über 2.500 Wohnungen entstehen. Das sind 750 Millionen Euro, die investiert werden. Allein mit den Projekten, die die FSB 2025 beginnt, werden 650 neue Wohnungen entstehen. Dazu kommt mit Kleineschholz ein Quartier, in dem nur gemeinwohlorientierte Bauträger zum Zuge kommen – ein Großteil ist sozial geförderter Wohnungsbau. Für mich ist das ein Meilenstein. Nach Ewigkeiten des Stillstands legen wir auch Im Zinklern im Stadtteil Lehen in diesem Jahr los. Um nur einige zu nennen. Es tut sich mächtig was, aber es dauert. Doch die Weichen haben wir gestellt.
Trump-Wahl, Ampel-Chaos, Pöbel-Wahlkampf – was tun Sie, um der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken?
Horn: Zu einem gewissen Grad kann ich Politikverdrossenheit sogar verstehen. Täglich prasseln auf uns negative Nachrichten ein: Kriege, internationale Krisen, dauerhafte Streitigkeiten in der Politik, dazu ein politischer Rechtsruck und wachsender Nationalismus in Europa… aber mit Selbstmitleid oder Dauerfrust bringen wir nichts voran. Ich habe ja vorhin die 105-Jährige Freiburgerin erwähnt. Dinge werden nur besser, wenn man sie besser macht. Deswegen müssen wir weniger jammern und mehr machen – vor allem besser machen. In Freiburg schwimmen wir deswegen in vielen Bereichen gegen den Strom. Da, wo andere Investitionen in den sozialen Bereichen wegkürzen, legen wir drauf. Wo andere Kommunen Baugebiete stoppen, gehen wir in die Offensive und nehmen Geld in die Hand. Gegen Politikverdrossenheit hilft genau das: Ärmel hochkrempeln und anpacken. Und die Leute mitnehmen, indem man offen und transparent agiert. Deswegen mache ich auch jeden Monat die Stadtteilgespräche. Und ich stelle mich auch Menschen, die anderer Meinung sind. Austausch und Diskussionen sind essentiell für eine Demokratie, aber Ton und Umgang miteinander müssen dabei immer fair bleiben.
Wenn Sie bei diesen Terminen auf Tuchfühlung zu den Freiburgerinnen und Freiburgern gehen. Welchen Eindruck haben Sie da: Wie ist die Stimmung in der Stadt?
Horn: Also ich nehme das Klima deutlich besser wahr, als es oft dargestellt wird. Vom Ton her viel weniger aggressiv und krawallig als man meinen könnte. Das Problem ist aber, dass die wenigen wirklich Lauten besonders stark wahrgenommen werden. Natürlich gibt es Ausnahmen. So gab es leider auch Situationen, wo ich bei uns zu Hause die Polizei rufen musste, weil wir als Familie belästigt wurden. Das ist völlig daneben. Bei allen aufgewühlten Zeiten und politischen Diskussionen müssen die Grenzen des Anstands eingehalten werden. Aber wie gesagt, das sind Einzelfälle, die man kritisieren, aber nicht verallgemeinern sollte.
Eine gute Fee sagt, Sie haben drei Wünsche für Ihre Stadt frei – was würden Sie sich wünschen?
Horn: Zuerst wünsche ich mir ein sofortiges Ende der Kriege in der Welt – dabei denke ich natürlich insbesondere an die Ukraine und den Nahen Osten. Für unsere Stadt würde ich mir dauerhaft faire Mieten und genügend Wohnangebote wünschen. Außerdem mehr Fairness in der Gesellschaft in puncto Bildungschancen, Klimaschutz und Verhinderung häuslicher Gewalt. Außerdem hätte ich gerne einen unlimitierten Gutschein für den Baumarkt, damit wir die Sanierungen unserer Schulen und Turnhallen noch schneller angehen können.
Noch ein kurzer Ausblick auf die kommenden 12 Monate. Was wird da die größte Herausforderung oder Errungenschaft?
Horn: Ich freue mich, wenn wir eine ganze Reihe von Projekten endlich fertigstellen. Darunter das Augustinermuseum als Kulturleuchtturm und Millionenbaustelle. Dann das NS-Dokuzentrum, das im März gemeinsam mit der baden-württembergischen Landtagspräsidentin Muhterem Aras eingeweiht wird. Und ich freue mich wahnsinnig auf die Eröffnung des neuen Außenbeckens im Westbad. Das ist ein echtes Herzensprojekt von mir, damit sorgen wir im Freiburger Westen für mehr Freizeitqualität, ein echter Gewinn für die gesamte Stadt.
2025 ist schon Vorlauf für ihre Wiederwahl – ich nehme an, Sie wollen wieder antreten, oder?
Horn: Ich liebe diese Stadt und ich liebe die vielfältigen Aufgaben, auch wenn sie familiär, persönlich und politisch natürlich immer wieder sehr herausfordernd sind. Aber diese Vielfalt im Zusammenhang mit dem Kontakt mit Menschen ist sehr erfüllend. Umso mehr freue ich mich, wenn es gelingt Freiburg weiterzubringen, das Außenbecken im Westbad ist ein schönes Beispiel dafür. Ich freue mich über die vielen initiierten und gemeinsam erfolgreich umgesetzten Projekte in den vergangenen Jahren. Gleichzeitig gilt es so viel zu tun, Neues anzugehen und Begonnenes fortzusetzen. Daher möchte ich wieder antreten und würde mich freuen, wenn die Freiburgerinnen und Freiburger mir erneut das Vertrauen schenken würden.