Jugendliche sind wie ein Seismograph für die Stimmung in der Bevölkerung. Daher ist es essenziell, die Lebenswirklichkeit, Wünsche und Befindlichkeiten von Jugendlichen zu kennen und die Jugendpolitik daran auszurichten. Eine neue Studie des Landes liefert einen alarmierenden Befund: Die psychische Belastung wächst.
Das Kultusministerium Baden-Württemberg befragt regelmäßig Jugendliche und hat 2024 die 7. Jugendstudie durchgeführt. Die Ergebnisse liegen nun vor: Ein Thema sticht besonders hervor: die mentale Belastung junger Menschen.
Die Ergebnisse zeigen: Ein Großteil der Jugendlichen fühlt sich psychisch stark unter Druck. Studienautorin Susanne Vogl, Professorin für Soziologie an der Universität Stuttgart, sagt: „Die Präsenz von Kriegs- und Terrorgefahren kombiniert mit Zukunftsängsten und gesellschaftlichen Krisen, führen zu einer hohen mentalen Belastung.“ Fast zwei Drittel der Befragten berichteten von häufiger Überforderung. Dabei wünschten sie sich nicht nur mehr Unterstützung, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung für ihre Sorgen.
Für Christian Fleischhaker, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter am Freiburger Uniklinikum sind diese Ergebnisse keine Überraschung: „Das ist unter anderem eine Folge der stetigen Abfolge von Krisen. Die Welt verändert sich gerade sehr schnell und das verursacht Verwerfungen und Unsicherheiten. Daher ist die mentale Überforderung der Jugend ein weltweites Phänomen – seit der Pandemie-Erfahrung hat sich der Trend verstärkt“, erklärt er. Das Gleichgewicht zwischen psychischer Widerstandsfähigkeit – im Fachjargon: Resilienz – und negativen Impulsen von Außen ist außer Balance geraten. Daher sei es umso wichtiger, die Resilienz bei Kindern und Jugendlichen zu stärken.
Christine Golz, Mitarbeiterin beim Jugendbüro Freiburg, bestätigt die Befunde: „Auch wir nehmen eine gestiegene psychische Belastung bei Jugendlichen wahr.“ Bei vielen falle es auf, dass sie mit einer für ihr Alter eher ungewöhnlichen Ernsthaftigkeit durchs Leben gehen, die typische jugendliche Unbeschwertheit sei häufig abhanden gekommen. Themen wie Klimawandel, Rassismus, Sicherheit, Krieg oder soziale Ungleichheit ständen im Fokus. Die Weltlage im Allgemeinen werde als Bedrohung wahrgenommen. „Das war bei früheren Generationen bei weitem nicht so ausgeprägt“, sagt Golz. Was den Jugendlichen gut tue, sei Vernetzung und Austausch. „Es ist wichtig zu merken, dass man nicht alleine ist und es ist wichtig, dass man auch Lösungen und positive Wege aufzeigt und verdeutlicht, dass man als Jugendlicher auch mitgestalten kann“, so Golz.
Ebenso seien politische Bildung und Aufklärung und richtiger Umgang mit sozialen Medien von essenzieller Bedeutung. An den Schulen komme dies ihrer Meinung nach viel zu kurz. „Eigentlich müssten die Schulen den Raum dafür geben, doch im Alltag ist dafür oft kein Platz“, kritisiert Golz. An Angeboten außerhalb der Schulen mangele es nicht, jedoch hapere es bei vielen Jugendlichen an der Fähigkeit, diese auch zu finden. Auch hierbei sei eine stärkere Unterstützung durch die Schulen wünschenswert.
Psychologe appelliert, mehr für Prävention zu tun
Der Kinder- und Jugendpsychiater Christian Fleischhaker berichtet, dass die ambulanten Notfall-Patienten in der Kinder- und Jugend-Psychiatrie innerhalb nur eines Jahres um 38 Prozent zugenommen hätten. Dieser „explodierende Bedarf“, so Fleischhaker, sei ein alarmierender Zustand. Umso schlimmer sei es, dass die Kapazitäten in Freiburg schon längst an ihre Grenzen stoßen würden. Da leider nicht davon auszugehen sei, dass der Bedarf an psychologischer Hilfe in Zukunft abnehme, müsse die Einrichtung dringend ausgebaut werden. Gemeinsam mit der Stadtgesellschaft versuchen Christian Fleischhaker und die Uniklinik Druck auf Stuttgart auszuüben. „Wir brauchen in Freiburg dringend mehr Ressourcen. Das sind wir der Gesellschaft schuldig“, appelliert der kommissarische Ärztliche Direktor.
Christian Fleischhaker erklärt, es sei darüber hinaus dringend notwendig, mehr in Prävention zu investieren. Ein Vorbild könne dabei das Basler Modell „Start Now“ sein. Dahinter verbirgt sich ein Skillstraining für Jugendliche ab dem Alter von 12 Jahren zur Förderung der Resilienz und Verbesserung der Stressregulation. Dieses sehr erfolgreiche Präventionsprogramm wird dort auch an Schulen angeboten. „Wir müssen in Deutschland auf der Handlungsebene effizienter werden und in die Umsetzung kommen. Da spielen die Schulen auch bei uns eine Schlüsselrolle. Dort muss den Jugendlichen Resilienz vermittelt werden. Es ist höchste Eisenbahn, da in die Gänge zu kommen“, so der Freiburger Psychologe.
Auch in der Jugendstudie des Landes kommt man zu dem Schluss: Die Jugend braucht mehr psychische Entlastung sowie konkrete Beteiligungsmöglichkeiten. Es geht zudem auch darum, mehr Vertrauen bei den Jugendlichen zu schaffen.