Der SC Freiburg befindet sich in einer Phase des Umbruchs. Aber nicht nur das Gesicht der Mannschaft mit neuem Trainer und neuen Spielern verändert sich. Auch aus den Lautsprechern des Europa-Park Stadions ist seit einem Jahr eine neue Stimme zu hören: Julica Goldschmidt, 42 und die Neue am Mikro, hat beim SC das große Erbe von Claus Köhn angetreten. Im Wochenbericht blickt sie auf ihr erstes Jahr als Stadionsprecherin zurück.
Julica Goldschmidt kann es kaum erwarten, bis am Samstag wieder der Ball im Europa-Park Stadion rollt. Nach einem längeren Urlaub, den sie nach ihrem ersten Jahr als Stadionsprecherin gebraucht hat, sagt die 42-Jährige: „Ich freue mich wirklich total. Das ist schon richtig geil zum Stadion zu laufen, den ersten Ordnern zu begegnen und ’Hallo’ zu sagen. Schritt für Schritt trifft man immer mehr Menschen und die Fans kommen zeitgleich an. So ein Spieltag ist mit keinem anderen Job zu vergleichen.“
Vor einem Jahr sah ihre Gefühlslage noch ganz anders aus. Nach 35 Jahren hatte Claus Köhn den Job als Stadionsprecher an den Nagel gehängt. Die Wahl des SC für seine Nachfolge fiel auf die in Freiburg geborene Radiomoderatorin Julica Goldschmidt. Eine Herkulesaufgabe. Wenn sie jetzt ein Jahr zurückspule und daran denke, wie sie sich zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr gefühlt habe, fällt bei ihr das Wort „Nervenwrack“. „Ich habe versucht Dinge irgendwie zu üben. Ich habe mir ausländische Namen reingepaukt. Ich habe nachts davon geträumt“, erinnert sie sich.
Kein Wunder. Über drei Jahrzehnte waren die SC-Fans an Köhn, seine Stimme und seine Worte gewöhnt. „Tatsächlich habe ich deswegen auch einen Moment gezögert, ob ich das Angebot vom SC annehmen soll. Jeder in diesem Stadion ist mit Claus groß geworden. Und da der Mensch ein Gewohnheitstier ist, war mir schon klar, dass das schwierig werden würde.“ Doch während Goldschmidt noch zögerte, hat sie ihr Lebensgefährte sofort darin bestärkt den Job anzunehmen. „Im Gegensatz zu mir, war ihm von vornherein klar, dass ich das machen soll. Das hat mir natürlich ein gutes Gefühl gegeben.“
„Ich habe nicht mehr diese, ängstliche hysterische Aufregung, Fehler zu machen. Sondern es ist eine ganz schöne, freudige Aufregung im Hinblick auf die kommende Saison.“
Julica Goldschmidt
Und eine gänzlich Unbekannte beim SC ist Goldschmidt, die hauptberuflich beim Radiosender Baden.FM arbeitet, beileibe nicht. Von 2014 bis 2018 war sie bereits Stadionmoderatorin für das Vorprogramm, den Job, den jetzt Stefan Mayer macht. Doch die Aufgabe als „Stadion- und Sicherheitssprecherin“ – so die offizielle Bezeichnung – ist noch einmal eine ganz andere Hausnummer. Goldschmidt muss in ihrer Sprecherkabine nicht nur das Spielgeschehen im Blick haben, vor 35.000 Zuschauern Tore vermelden oder Auswechslungen verlautbaren. Sie ist auch dann gefordert, wenn Gegenstände aufs Feld fliegen, Fans Pyrotechnik zünden oder medizinische Notfälle passieren. Für diese Fälle gibt es ein Handbuch mit vorgefertigten Texten von der Deutschen Fußball-Liga (DFL). „Im Zweifel muss es natürlich schnell gehen, da muss die Formulierung sitzen“, sagt Goldschmidt, die im Dreisamtal aufgewachsen ist.
Bei ihrem Amtsantritt war Julica Goldschmidt erst die zweite Stadionsprecherin überhaupt in der Fußball-Bundesliga. Petra Dahl von Bayer Leverkusen ist die Vorreiterin. Seit dieser Saison gibt es mit dem Erstligaufstieg des FC St. Pauli und dessen Sprecherin Dagmar Hansen ein Sprecherinnen-Trio in der Bundesliga. Die große Aufmerksamkeit, die ihr und den anderen beiden zuteil werde, sei ein Indiz dafür, dass „die Menschen daran noch nicht gewöhnt sind und dass es immer noch weit davon entfernt ist, etwas Normales zu sein“, sagt Goldschmidt. „Das ist schon echt erstaunlich und zeigt einmal mehr: Nein, Gleichstellung ist noch nicht da. Und nein, Frauen haben noch nicht die gleichen Möglichkeiten wie Männer.“
Hinzu kommen Hasskommentare im Internet, denen sich Goldschmidt gerade in ihrer Anfangszeit nicht entziehen konnte, weil sie einfach zu neugierig war und wissen wollte, was da geschrieben wird. „Das fand ich schon richtig, richtig krass. Ich war eigentlich euphorisiert durch meine Premiere bei der Saisoneröffnung gegen den FC Empoli vor einem Jahr. Dann gehst Du anschließend ins Netz und wirst zerrissen.“ Es habe zwar auch ganz viel Zustimmung und freundliche Reaktionen gegeben. Aber die negativen Kommentare, so unmittelbar nach dem Spiel, hätten sie wie ein Schlag getroffen: „Ich habe das wirklich so empfunden, dass man körperlich spürt, wie schlecht das für einen ist.“ Dabei ist sie für sachliche Kritik offen und dankbar. „Aber es ist einfach ein Unterschied, zwischen beleidigenden Kommentaren, die hingerotzt sind und einer Kritik, wo sich jemand Gedanken macht und ein echtes Anliegen hat.“ Solche Hasskommentare würden mehr über den Urheber als über sie selbst aussagen, so Goldschmidt.
Vor der jetzigen Saison habe es mit der organisierten Fanszene einen Austausch gegeben, der „super und sehr konstruktiv“ verlaufen sei. Da habe sie Dinge mitgenommen, die sie in der kommenden Saison umsetzen werde. „Es wurden witzigerweise Dinge angesprochen, die sich für mich selbst nicht richtig angefühlt haben.“ Für Goldschmidt ein Indiz, dass sie bei ihrer Aufgabe ruhig mehr ihrem eigenen Gefühl trauen dürfe.
„Als Stadionsprecherin habe ich immer die Sorge, dass irgendetwas schief läuft, oder dass ich einen Fehler mache, weil natürlich die Aufmerksamkeit während des Spiels größer ist.“ Aber jetzt, ein Jahr später, geht sie mit einem anderen Selbstverständnis an die Aufgabe. Ihre ganz großen Unsicherheiten habe sie überwunden – und hofft nun auf viele Torjubel mit dem SC Freiburg.