Am 27. November 1944 erlitt Freiburg, was keiner für möglich gehalten hatte: Bei einem Bombenangriff („Operation Tigerfish“) der Engländer wenige Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Altstadt in Schutt und Asche gelegt. Und das, obwohl Freiburg als Lazarett-Standort und als Stadt ohne Kriegsindustrie sich immer recht sicher vor den Bomben der Alliierten gefühlt hat.
Über 2.700 Menschen verloren ihr Leben. Aber wie durch ein Wunder blieb das Freiburger Münster mitten in der Altstadt nahezu unbeschädigt. Mit der Ausstellung und dem Buch „Sonst war es still“ geht die Freiburger Kuratorin und Autorin Andrea Hess dem Trauma dieser Novembernacht auf den Grund.
Frau Hess, Sie haben Ihre Ausstellung unter die Überschrift „Sonst war es still“ gestellt. Wie kam dieser Titel zustande?
Andrea Hess: Das ist ein Zeitzeugenzitat aus dem Tagebuch eines Jugendlichen, der über die Bombennacht berichtet. Viele Menschen saßen beim Abendessen, dann kam recht unvermittelt der Angriff. Ich fand, das Zitat gibt das Unfassbare treffend wieder. Freiburg sollte nicht zuletzt aufgrund der Nähe zu Frankreich nicht verschont werden. Die Zerstörung der Bahntrasse samt Bahnhöfen entlang des Rheins war das Hauptanliegen der „Operation Tigerfish“.
Das ist nun 80 Jahre her. Konnten Sie für Ihre Arbeit noch mit vielen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sprechen?
Hess: Es gab im Februar unter anderem einen Aufruf in der Zeitung, unter anderem im Freiburger Wochenbericht. Die Resonanz war sehr groß, es haben sich 50 bis 60 Personen gemeldet, von denen ich sehr viele interviewt und besucht habe. Im Mittelpunkt der Recherche für den Münsterbauverein stand dabei immer der Bezug zum Freiburger Münster als Symbol der Hoffnung und buchstäblich Orientierung für die Menschen. Die Texte für das Buch zur Ausstellung sollten immer die Person spürbar machen, die berichtet hat.
Solche Kriegserlebnisse können für die Betroffenen ein ganzes Leben lang prägend sein. Haben Sie das auch so wahrgenommen?
Hess: Sehr. Manche haben nun zum ersten Mal darüber geredet. Eine Frau hat kurzzeitig eine partielle Gesichtslähmung wieder erlebt, die sie damals erlitten hatte. Ein älterer Herr sagte, er könne den Staub von damals wieder riechen und schmecken, wenn er über die Bombennacht spricht. Man sieht es in den Augen, wenn die Menschen den Schrecken von damals im Gespräch erneut durchleben. Es ist wie ein innerer Film, der sie komplett in die Vergangenheit versetzt. Mich hat das in einigen Fällen so besorgt, so dass ich anschließend angerufen habe, um mich zu versichern, dass die Leute mit ihren Erinnerungen nicht allein sind.
Dass das Münster in Freiburg die Bombennacht mit wenigen Schäden überstanden hat, wird manchmal als Wunder bezeichnet. Sind Sie diesem Wunder auf die Spur gekommen?
Hess: Nein. Durch die Nähe der Bombeneinschläge hätte es nicht absichtlich verschont werden können und das Wunder hat Bestand.
Was war denn Ihr Antrieb für diese Ausstellung?
Hess: : Ich bin hier im Münsterbauverein für die Sammlung der historischen Fotos zuständig und habe oft gedacht, dass man diese Bilder von damals und von der Zerstörung öffentlich machen muss. Jetzt schien mir der richtige Zeitpunkt. Ich habe dann auch weitere Archive aufgesucht. Privatpersonen durften nach der Bombardierung nicht fotografieren, dass Niederlagen nicht dokumentiert werden sollten. Die Fotos, die wir nun sehen, haben zum Teil also auch Mut von den Fotografen erfordert. Manche wurden noch nie öffentlich gezeigt. Und jedes Mal, wenn ich in der Ausstellung bin, sehe ich, dass sie die Menschen ins Gespräch miteinander bringt. Das ist schon sehr bewegend.
Das Interview führte Bernd Peters
Zur Person: Andrea Hess ist bildende Künstlerin und als Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Münsterbauvereins in Freiburg für dessen Archiv, Bibliothek und Dokumentationsstelle zuständig. Ihr Buch „Sonst war es still. 1944 – Erinnerungen an die Bombardierung“ ist in der kleinen Schriftenreihe des Münsterbauvereins im Rombach Verlag in Freiburg erschienen. Es hat 100 Seiten und kostet 12,90 Euro. Die Ausstellung „Sonst war es still“ findet im Münsterforum, Herrenstr. 33, in Freiburg noch bis zum 21. Dezember statt. Sie ist von Montag bis Samstag jeweils von 10 bis 16 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.
Info: Anlässlich des 80. Jahrestag der Bombardierung Freiburgs finden derzeit zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt. Am 28. November lädt das SWR-Studio Freiburg ab 18.30 Uhr zum Zeitzeugengespräch in den Schlossbergsaal ein. Auf der Seite www.muensterbauverein-freiburg.de finden sich zudem zahlreiche Veranstaltungen des Vereins rund um das Gedenken an die Bombennacht.